Meta Stiefel

Die ungeschriebene Geschichte einer Nachbarin

Marstallstraße 4

Über Meta Stiefel wissen wir nur wenig. Unsere ersten Quellen sind die Dokumentation der Schicksale von Menschen jüdischer Herkunft aus Württemberg im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart und das Gedenkbuch Baden-Württemberg – beides möglichst sorgfältig zusammengetragene Informationssammlungen, entstanden Jahrzehnte nach dem Ende des Nazi-Regimes.
Zu Meta Stiefel finden wir: „Geboren am 26. April 1887 in Menzingen, lebte um 1933 in Ludwigsburg, wurde am 1. Dezember 1941 nach Riga deportiert und ist dort umgekommen.“ Diese Information findet man auch in Joachim Hahns vortrefflichem Buch „Jüdisches Leben in Ludwigsburg“ – auch Hahn stützte sich in seinem 1998 erschienenen Band unter anderem auf die oben genannten Quellen.
Die Durchsicht der Adressverzeichnisse von Ludwigsburg ergibt keinen Hinweis auf Meta Stiefel. Aus anderen Recherchen wissen wir, dass dies die Vermutung nahe legt, Meta Stiefel habe als Hausangestellte gearbeitet und sei daher nicht als „selbstständig wohnend“ gemeldet gewesen.
Dann ergibt eine Akte im Staatsarchiv Ludwigsburg weitere Erkenntnisse – dort sind die Unterlagen aufgehoben, in denen Überlebende selbst oder Angehörige von NS-Opfern nach dem Ende der Terrorherrschaft versuchten, wenigstens finanziellen Ausgleich für das erlittene Unrecht zu bekommen: Es geht in unserem Fall um einen Streit über eine Schreibmaschine, die Meta Stiefel offensichtlich besessen hat und die sie 1941 einer Berta Traub in Verwahrung gegeben hatte. Nach dem Krieg verlangten die Verwandten von Meta Stiefel diese Schreibmaschine zurück; letzten Endes wurde das Gerät dann zurückgegeben.
Viel wichtiger ist aber, dass diese Akte die bisher einzige konkrete Informationsquelle zu Meta Stiefel ist. Nun wissen wir: Sie hat bis 1941 als Hausangestellte bei der Fabrikantenfamilie Elsass in der Marstallstraße 4 gewohnt. Als die Polizei das Haus ihres ebenfalls jüdischen Arbeitgebers durchsucht, es war im Jahre 1941, der „genaue Tag sei nicht erinnerlich“, habe Meta Stiefel die Zeugin Berta Traub gebeten, die neuwertige Schreibmaschine in Verwahrung zu nehmen, „bis sie wiederkomme und (diese) an niemanden herauszugeben als an sie persönlich.“
Meta Stiefel konnte die Reiseschreibmaschine Marke „Hermes Baby“ nicht mehr zurückfordern, sie wurde selbst abgeholt, nach Riga transportiert und dort ermordet. Ein Datum ihres Todes ist nicht bekannt. Man kann an Hand der Schlichtungsakte den Weg der Schreibmaschine recht genau zurückverfolgen, über ihre Besitzerin erfahren wir aber nichts Näheres.
Wir können nur darüber spekulieren, für welchen Zweck sich Meta Stiefel diese recht teure Maschine (ähnlich der hier abgebildeten) gekauft hat, was für ein Leben zu diesem Zweck gepasst haben könnte. Doch konkret bleibt uns nur das Wissen um eine Ludwigsburgerin, die im Alter von 54 Jahren gezwungen wurde, mit einem der berüchtigten Züge vom Stuttgarter Nordbahnhof aus fast zweitausend Kilometer weit nach Osten transportiert zu werden, und die dort ermordet wurde – und die eine Schreibmaschine besessen hatte.

Christian Rehmenklau